Montag, 2. Februar 2004
1: Weggehen
Hatte hervorragend schlecht geschlafen, wie erwartet. Grade so den Kaffee runtergekriegt. Familie kam dann, die Stimmung weniger furchtbar als erwartet. Schon auf dem Weg zum Flughafen ziemliche Panik gehabt, hüstel.

Ebenfalls wie erwartet war der Abschied furchtbar und tränenreich (wobei ich anmerken muss, dass *ich* mich noch einigermaßen zusammenreißen konnte. Nicklas und Andi standhaft, Mutter heult, Verena kämpft). Dachte, ich könnte im Abflugbereich noch Airport Airport machen, also surfen. Aber nada, gerade an meinem Gate angekommen und aufm weg zur Espressobar wurde ich ausgerufen: Meine Begleitung habe angerufen, weil ich etwas vergessen hatte. Abschiedsgeschenk. Noch 15 Minuten bis Boarding. Ich also wieder durch ein fucking Labyrinth nach draußen gehetzt. Hat sich gelohnt. Abschiedsgeschenk. Verena weint ein bisschen. Ich mache den Harten; nochmal Security, nochmal Passkontrolle und alles. Dann flenne ich auch und schaffes grad noch so zum letzten Aufruf.

Auf dem Weg zum Flugzeugbus erlaube ich mir auch ein paar Tränen. Sind ja nur drei Wochen, von wegen. Die Trauer weicht einer leichten Panikattacke, als ich unser hervorragend kleines übel aussehendes Flugzeug erblicke.



Im Flugzeug erwartungsgemäß eng, erwartungsgemäß un-Lufthansa-ig. Muss den iPod sofort wieder ausmachen, was der Bauer nicht kennt &c; der Damenbart der Stewardess ist erschreckend und beneidenswert -- soviel Bartwuchs hätte ich auch gerne mal.

Flug ist dann relativ entspannt, ich aber trotzdem nicht. Das eine Lied, das ich anhören konnte (Coldplay - Don't Panic) reisst super die Stimmung runter, flennen. Sind ja nur drei Wochen. Drei Wochen, my ass!

Dann wieder besorgt: um mich rum brutal aussehende Männer die jovial aber barsch in irgendwelchen Ostblock-Terroristen-Sprachen sprechen.

Frühstück abgelehnt.

Landeanflug auf Prag: scheint ne schöne Stadt zu sein, groß jedenfalls.




Prager Flughafen, die üblichen verdächtigen des Pseudoluxus: Omega, Cartier, Boss &c.

Tolles Souvenir-Shop-Schild in der guten ITC Pioneer (die Schrift haben die doch nicht legal erworben oder was):




Zeit von 10.50 bis 12.50 im Cafe totgeschlagen, bzw., das mache ich hier gerade, schreibend. Ostblock-Terroristen beäugen den jungen kapitalistischen Schnösel mit dem Powerbook misstrauisch-gierig über ihre Pilsgläser hinweg. Hoho, schon 11.16, nur noch eindreiviertel Stunden bis es endlich weitergeht.

Werde noch versuchen, ein paar Handschuhe zu kriegen, lederne wenn's geht. 160 Kronen (Latte macchiato, frischgepresster Osaft) sind übrigens nach Flughafen-Wechselkurs 5 EUR. Naja, auch egal.

Denke darüber nach, was ich hier eigentlich will, bzw. in Den Haag. Hätte noch nene Monat bei der Kleinen sein können und dann entspannt Gmünd. Aber mit wem und *bei* wem Projekte machen?

Grad läuft das letzte REM Album im Cafe. Nebenan spielt ein junger Ostblock-Terrorist im Casino Black Jack oder so, eine junge Dame gibt. Soll ich einsteigen? Nee, lieber Handschuhe.

Ich schreib lieber nachher weiter. Vermisse meine Frau, vermisse meine Familie. Schnüff.

ETWAS SPÄTER.

Sitze vor meinem Gate und warte auf das Vorrücken der Uhr (bis auf Los, 8000 Mark einsacken). Lese brand eins, die Kopfhörer-Jukebox spielt Coldplay - Yellow. Muss also schon wieder traurig sein. Stelle mir die Kleine vor, wie sie traurig aber stoisch einer Feier entgegenarbeitet, an der sie nicht so unbedingt teilnehmen, geschweige denn dort bedienen, möchte. Stelle mir vor, dass sie alle Tätigkeiten stumpfsinnig und uninspririert, mit eiserner Mine, verrichtet, und sich schon mal vor dem Abend gruselt. Vor dem Heimkommen gruselt. Gerade ging ein Ostblock-Terroristen-Jäger in Tarnuniform und einer FUCKING MASCHINENPISTOLE vorbei, der mich entgegen meiner Hoffnung nicht ins Zurück-nach-Deutschland-Abschiebebüro schleift ("Tjut mjir leid, Towarisch, hjier is nix Plads fjir kapialistskoje Schneselchen wjie djich"). Trist und boring ists hier, und mitnichten aufregend. Draußen entwickelt sich ein postkommunistisch trüber Tag, diesig, neblig, ein paar einzelne Wiederstandskämpfer-Sonnenstrahlen kämpfen sich durch, aber ansonsten Asche. Zu warm um die neue Antarktisjacke anzubehalten, zu kalt um sie auszuziehen. Diverse Kaffees bringen meine Eingeweide in die gleiche Stimmung die auch in meinem Kopf herrscht.

12.00. Immer noch kein Boarding, und auf dem Monitor sehe ich meinen Flug auf 13.35 verlegt. Welche Freude. Noch mehr Zeit zum Geld ausgeben. Die Boss-Handschuhe waren im Übrigen nicht nur für tschechische, sondern auch für meine Verhältnisse eine Spur überteuert und wurden zurückgelassen. Bin dann zwanzig Sekunden später nochmal zurückgerannt und habe meinen Ring aus dem Handschuh rausgepult. Das war allerdings gücklicherweise bislang der einzige Versuch der Ostblock-Terrorristen, mich zu beklauen.

Hoho, schon 12.05, die Zeit *rennt* ja geradezu! Und der Akku auf 46%. Wenn mein Gepäck weg sein sollte, muss das noch verdammt lange halten.

Soll ich noch nen Kaffee trinken? Uäh... Muss diese verdammte Heulsusen-Musik endlich ausmachen. Vielleicht was gemäßigt elektronisches stattdessen?

Stelle mir meine Familie vor, die nur von ihrer Home-Improvement-Aktion ausgefüllt und ansonsten vollkommen leer vor lauter Abwesenheit des Erstgeborenen ist. Das Schlafzimmer, soviel steht schon fest, wird ne Wucht. Mein "Ex-"Zimmer mit knallroter Stirnwand ist auch ne tolle Idee: Ein Jahr lang suuuper-schick, danach immerhin ein willkommener Vorwand, aufs neue zu renovieren. Revolving Renovation, nenn ich das jetzt ma.

Meine kleine hört zu Hause Ablenkmusik und rührt Mousse au Chocolat zusammen. Bin gespannt, was, wann und wo ich als nächstes essen werde.

So; jetzt Batterie sparen.

(Es ist jetzt schon Sonntagnacht, egal. Die Ereignisse bis hier teils in aller Kürze:)

Der Flug von Prag war unglaublich. Gut, dass ich das vertrocknete Sandwich wieder abgelehnt hatte: die letzten zehn Flugminuten stelle man sich wie folgt vor: Man sitzt auf dem Rücksitz eines Lada; der Fahrer ist ein spastisch gelähmter Blinder, der den Wagen bei seiner ersten Fahrstunde über einen zugefrorenen Acker lenkt.

Es regnet und windet wie wild, kein allzu freundlicher Empfang, aber die Jacke hält. Dank an den Bekleidungsgott für die Zuliefererfirma der US Army.

Nach Ankunft, Passkontrolle, Gepäckbandgewarte folgte eine typische Kai-Aktion. Lese am Zug-Bahnhog "CENTRAAL", wie in "DEN HAAG - CENTRAAL", also rein, Gepäck verstauen, Erster Halt Amsterdam Leyland oder so, weil Zug Richtung AMSTERDAM - CENTRAAL. Gemerkt dass ich im falschen Zug, vollkommen falsche Richtung sitze, also Gepäck schultern, raus, in der Kälte auf den nächsten Zug in die diesmal richtige Richtung abwarten. Die Jacke hält, is wohl aus Dreiwettertaft.

Das neue Belle + Sebastian Album auf den Ohren, so ganz ganz langsam wird es besser.

Ankunft DEN HAAG CENTRAAL, finally. Anna erscheint kurze Zeit später, überschwänglicher Empfang, durch einen Wind gegen den man sich lehnen kann zum neuen Hauptquartier der Gestaltuung in Den Haag: Bierkade 14c.

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