Montag, 2. Februar 2004
3: Sonntag
Wache gegen halb zehn recht entspannt auf, Anna umgastgibt mich sofort mit Kaffee, widmet mir ihren Tag:

Erst durch die Innenstadt gewetzt zwecks orientieren lernen. Ich kann voller Stolz behaupten, schon mindestens zwei Ecken weit gehen zu können, ohne mich zu verirren. Prepaid-Telefonkarte und Zellen-Telefonkarte gekauft. Wer mich anrufen möchte, bidde:

Dial your international access code followed by 31 62 44 77 507.

Kurz zu Hause, Zeit genutzt um ein Telefonhintergrundbild mit meiner neuen Mobilnummer zu erstellen. Hab dann mal versucht, 9 pt Pixelziffern an die Akzi anzulehnen; der eigentliche Erfolg lag eher darin, dass ich die Nummer in mein Gedächtnis gebrannt habe, wenigstens was.

Um drei oder wann wieder aufgebrochen, zum Meer. Vom Spazierengehstrand (Osten) durch den Fischerhafen, um diverse Quadratkilometer Hafenbecken, vorbei am Frachthafen gewandert, in ständiger Begleitung eines unfassbaren Windes. Die Kapuze meiner Jacke ist ein Musterbeispiel für gute Gestaltung und bewahrte mich vorm sicheren Tod durch Mittelohrentzündung. Als wir dann auf einer Hafeneinfahrtsrichtungsleuchtfeuerpier auf der Westseite der Hafeneinfahrt standen war es schon sechs Uhr und somit dunkel. Mit Tram und Füßen nach Hause; irgendein Motherfucker hat sein Auto auf den Schienen geparkt, deswegen Tram-Exit praecox, schonnwidder laufen. Netten Indonesen entdeckt.

Geil wie ich bin, hab ich glatt beide Male als ich außer Hauses war die Kamera vergessen, bravo!

Zellentelefonat mit Verena, hach wie gut es ihr doch geht. Zumindest hat sie versprochen, mich später am Abend zu vermissen.

Zu Hause gekocht (Vorspeise: Restnudeln von gestern, Hauptgericht: Asiatisch anmutendes Gemüseallerlei und Reis, Nachspeise: Heidelbeerquark. Zu allen Gängen Bier, den Vorrat an welchem ich auf dem Heimweg wohlweislich noch ein wenig aufgestockt hatte.)

Anna eine Einladung zum Indonesen für morgen Abend aufgenötigt (!). Wie ich das geschafft habe? Ich habe ihr erklärt, wenn ich ein Chinese wäre, würde ich das Gesicht verlieren, wenn sie die Einladung ausschlüge. Das hat gezogen, sie wollte verhindern dass ich was verliere.

Dann noch mehr Bier getrunken und gemeinsam Magnolia angeschaut. Viel zu lang. Blöde Frösche, datt jibbet do jaanüsch. Son Quatsch.

Tagesplanung morgen: Aufstehen (sie 7.30, weiß Gott warum, ich 9.00 oder so). 10.00 in der Schule sein (sie arbeiten, ich zur Marleen Groen gehen und dann endlich Internet). Im weiteren Tagesverlauf zur Post(-bank), Konto eröffnen, dann zur Post(-post), Schnurtelefonanschluss beantragen. Ich vielleicht später noch Mediamarkt, Telefon erwerben; Klugscheisserverena hatte recht, ich hätt ihr altes Fon mitnehmen sollen). Einkaufen vielleicht noch, damit ich auch mal was kochen darf. Aber wasn?

Jetzt sitz ich und schreib, dazu erst Nina Simone, jetzt Arvo Pärt's Alina. Und wie verdammt geil is das denn! Warum hat man mir das nicht schon vor Jahren ans Herz gelegt, hä?

Grummelgrummel, 1.50 inzwischen, jetzt mal schlafi-schlafi!

Ach: Morgen mal Bilder und Beschreibung Wohnsituation nachreichen, ne?

Und ach und: Brauch hier noch irgendwas was Licht macht (man wird morgen lesen können warum), habe schon Ideen skizziert (also echt, Skizzen, ich! Kein Scheiß!) für eine Schreibtischlampe selbstzubasteln; wichtiger Parameter ist Minimalismus in Materialwahl, Teileanzahl und handwerklichem Geschick. Denke an Draht- oder Pappgestell, man wird sehen.

Ach ja und jaja noch ach das noch: Meine Kleine is nich hier, schnüff.

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2: Ankommen
Schön. Richte mich im kleineren der beiden Zimmer (also dem, das eine Tür hat) ein, also: lege im Halbdunkel meinen Kram auf den Schreibtisch und in den Schrank. Unglaublich entspannende Dusche.

Man spricht über Gestaltungsthemen, etwa die Schulwahl der Kommilitonen, die tollen Den Haager Schriftengötter, Schule, Unterricht. Anna zeigt Arbeiten (!), ziemlich freiwillig (!!). Ich zeige auch was, was ich laut Anna den div. Prof. zeigen muss (sie sagt das glaube ich, um mich als Konkurrent aus dem Weg zu räumen ";-)" )

Anna kocht lecker Nudeln mit frischem Blattspinat, Rotwein.

Man spricht lange Zeit über weitere Gestaltungsthemen, schaut die mitgebrachten High End Musikvideos.

Dann ins Bett, vollkommen erledigt, schreibe SMS an die Kleine weil ich sie schon furchtbar vermisse. Das leise Klick, das den Kurznachrichtenempfang signalisiert, reisst mich aus der Einschlafphase: Es geht ihr gut! Unverschämt, sie sollte am Boden zerstört sein. Freue mich und schlafe sofort ein. Will im Dreiviertelschlaf zu Verena rüberlangen und breche mir fast (aber GANZ KNAPP!) die Finger: wo die letzten fünf Monate ein süßes Mädchen lag, ist jetzt ne Wand. Na dann gute Nacht, again.

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1: Weggehen
Hatte hervorragend schlecht geschlafen, wie erwartet. Grade so den Kaffee runtergekriegt. Familie kam dann, die Stimmung weniger furchtbar als erwartet. Schon auf dem Weg zum Flughafen ziemliche Panik gehabt, hüstel.

Ebenfalls wie erwartet war der Abschied furchtbar und tränenreich (wobei ich anmerken muss, dass *ich* mich noch einigermaßen zusammenreißen konnte. Nicklas und Andi standhaft, Mutter heult, Verena kämpft). Dachte, ich könnte im Abflugbereich noch Airport Airport machen, also surfen. Aber nada, gerade an meinem Gate angekommen und aufm weg zur Espressobar wurde ich ausgerufen: Meine Begleitung habe angerufen, weil ich etwas vergessen hatte. Abschiedsgeschenk. Noch 15 Minuten bis Boarding. Ich also wieder durch ein fucking Labyrinth nach draußen gehetzt. Hat sich gelohnt. Abschiedsgeschenk. Verena weint ein bisschen. Ich mache den Harten; nochmal Security, nochmal Passkontrolle und alles. Dann flenne ich auch und schaffes grad noch so zum letzten Aufruf.

Auf dem Weg zum Flugzeugbus erlaube ich mir auch ein paar Tränen. Sind ja nur drei Wochen, von wegen. Die Trauer weicht einer leichten Panikattacke, als ich unser hervorragend kleines übel aussehendes Flugzeug erblicke.



Im Flugzeug erwartungsgemäß eng, erwartungsgemäß un-Lufthansa-ig. Muss den iPod sofort wieder ausmachen, was der Bauer nicht kennt &c; der Damenbart der Stewardess ist erschreckend und beneidenswert -- soviel Bartwuchs hätte ich auch gerne mal.

Flug ist dann relativ entspannt, ich aber trotzdem nicht. Das eine Lied, das ich anhören konnte (Coldplay - Don't Panic) reisst super die Stimmung runter, flennen. Sind ja nur drei Wochen. Drei Wochen, my ass!

Dann wieder besorgt: um mich rum brutal aussehende Männer die jovial aber barsch in irgendwelchen Ostblock-Terroristen-Sprachen sprechen.

Frühstück abgelehnt.

Landeanflug auf Prag: scheint ne schöne Stadt zu sein, groß jedenfalls.




Prager Flughafen, die üblichen verdächtigen des Pseudoluxus: Omega, Cartier, Boss &c.

Tolles Souvenir-Shop-Schild in der guten ITC Pioneer (die Schrift haben die doch nicht legal erworben oder was):




Zeit von 10.50 bis 12.50 im Cafe totgeschlagen, bzw., das mache ich hier gerade, schreibend. Ostblock-Terroristen beäugen den jungen kapitalistischen Schnösel mit dem Powerbook misstrauisch-gierig über ihre Pilsgläser hinweg. Hoho, schon 11.16, nur noch eindreiviertel Stunden bis es endlich weitergeht.

Werde noch versuchen, ein paar Handschuhe zu kriegen, lederne wenn's geht. 160 Kronen (Latte macchiato, frischgepresster Osaft) sind übrigens nach Flughafen-Wechselkurs 5 EUR. Naja, auch egal.

Denke darüber nach, was ich hier eigentlich will, bzw. in Den Haag. Hätte noch nene Monat bei der Kleinen sein können und dann entspannt Gmünd. Aber mit wem und *bei* wem Projekte machen?

Grad läuft das letzte REM Album im Cafe. Nebenan spielt ein junger Ostblock-Terrorist im Casino Black Jack oder so, eine junge Dame gibt. Soll ich einsteigen? Nee, lieber Handschuhe.

Ich schreib lieber nachher weiter. Vermisse meine Frau, vermisse meine Familie. Schnüff.

ETWAS SPÄTER.

Sitze vor meinem Gate und warte auf das Vorrücken der Uhr (bis auf Los, 8000 Mark einsacken). Lese brand eins, die Kopfhörer-Jukebox spielt Coldplay - Yellow. Muss also schon wieder traurig sein. Stelle mir die Kleine vor, wie sie traurig aber stoisch einer Feier entgegenarbeitet, an der sie nicht so unbedingt teilnehmen, geschweige denn dort bedienen, möchte. Stelle mir vor, dass sie alle Tätigkeiten stumpfsinnig und uninspririert, mit eiserner Mine, verrichtet, und sich schon mal vor dem Abend gruselt. Vor dem Heimkommen gruselt. Gerade ging ein Ostblock-Terroristen-Jäger in Tarnuniform und einer FUCKING MASCHINENPISTOLE vorbei, der mich entgegen meiner Hoffnung nicht ins Zurück-nach-Deutschland-Abschiebebüro schleift ("Tjut mjir leid, Towarisch, hjier is nix Plads fjir kapialistskoje Schneselchen wjie djich"). Trist und boring ists hier, und mitnichten aufregend. Draußen entwickelt sich ein postkommunistisch trüber Tag, diesig, neblig, ein paar einzelne Wiederstandskämpfer-Sonnenstrahlen kämpfen sich durch, aber ansonsten Asche. Zu warm um die neue Antarktisjacke anzubehalten, zu kalt um sie auszuziehen. Diverse Kaffees bringen meine Eingeweide in die gleiche Stimmung die auch in meinem Kopf herrscht.

12.00. Immer noch kein Boarding, und auf dem Monitor sehe ich meinen Flug auf 13.35 verlegt. Welche Freude. Noch mehr Zeit zum Geld ausgeben. Die Boss-Handschuhe waren im Übrigen nicht nur für tschechische, sondern auch für meine Verhältnisse eine Spur überteuert und wurden zurückgelassen. Bin dann zwanzig Sekunden später nochmal zurückgerannt und habe meinen Ring aus dem Handschuh rausgepult. Das war allerdings gücklicherweise bislang der einzige Versuch der Ostblock-Terrorristen, mich zu beklauen.

Hoho, schon 12.05, die Zeit *rennt* ja geradezu! Und der Akku auf 46%. Wenn mein Gepäck weg sein sollte, muss das noch verdammt lange halten.

Soll ich noch nen Kaffee trinken? Uäh... Muss diese verdammte Heulsusen-Musik endlich ausmachen. Vielleicht was gemäßigt elektronisches stattdessen?

Stelle mir meine Familie vor, die nur von ihrer Home-Improvement-Aktion ausgefüllt und ansonsten vollkommen leer vor lauter Abwesenheit des Erstgeborenen ist. Das Schlafzimmer, soviel steht schon fest, wird ne Wucht. Mein "Ex-"Zimmer mit knallroter Stirnwand ist auch ne tolle Idee: Ein Jahr lang suuuper-schick, danach immerhin ein willkommener Vorwand, aufs neue zu renovieren. Revolving Renovation, nenn ich das jetzt ma.

Meine kleine hört zu Hause Ablenkmusik und rührt Mousse au Chocolat zusammen. Bin gespannt, was, wann und wo ich als nächstes essen werde.

So; jetzt Batterie sparen.

(Es ist jetzt schon Sonntagnacht, egal. Die Ereignisse bis hier teils in aller Kürze:)

Der Flug von Prag war unglaublich. Gut, dass ich das vertrocknete Sandwich wieder abgelehnt hatte: die letzten zehn Flugminuten stelle man sich wie folgt vor: Man sitzt auf dem Rücksitz eines Lada; der Fahrer ist ein spastisch gelähmter Blinder, der den Wagen bei seiner ersten Fahrstunde über einen zugefrorenen Acker lenkt.

Es regnet und windet wie wild, kein allzu freundlicher Empfang, aber die Jacke hält. Dank an den Bekleidungsgott für die Zuliefererfirma der US Army.

Nach Ankunft, Passkontrolle, Gepäckbandgewarte folgte eine typische Kai-Aktion. Lese am Zug-Bahnhog "CENTRAAL", wie in "DEN HAAG - CENTRAAL", also rein, Gepäck verstauen, Erster Halt Amsterdam Leyland oder so, weil Zug Richtung AMSTERDAM - CENTRAAL. Gemerkt dass ich im falschen Zug, vollkommen falsche Richtung sitze, also Gepäck schultern, raus, in der Kälte auf den nächsten Zug in die diesmal richtige Richtung abwarten. Die Jacke hält, is wohl aus Dreiwettertaft.

Das neue Belle + Sebastian Album auf den Ohren, so ganz ganz langsam wird es besser.

Ankunft DEN HAAG CENTRAAL, finally. Anna erscheint kurze Zeit später, überschwänglicher Empfang, durch einen Wind gegen den man sich lehnen kann zum neuen Hauptquartier der Gestaltuung in Den Haag: Bierkade 14c.

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